Corona beeinflusst die Versicherungsbranche

2 März 2022
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Die Corona-Pandemie führte zu drastischen Einbrüchen in der Wirtschaft. Auch die Versicherungsbranche blieb davor nicht verschont, obschon die Ergebnisse sich im Jahr 2021 deutlich verbessert haben. Digitalisierung, Cyber-Angriffe und drohende Klagen gegen Kunden verändern das Geschäft.

 

Die von der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA veröffentlichten Zahlen über den Schweizer Versicherungsmarkt 2020 zeigen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie: eine Verminderung der Ergebnisse um 51 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Neben tieferen versicherungstechnischen Ergebnissen waren hauptsächlich geringere Gewinne aus der Kapitalanlagetätigkeit dafür verantwortlich. Im Jahr 2021 stehen die Versicherer besser da. Trotz Unwettern konnten sie ihre Gewinne teils deutlich steigern. So hat die Zürich Insurance Group ihren Gewinn im Vergleich zum Vorjahr um 36 Prozent gesteigert.

 

Wie Corona die Digitalisierung im Versicherungsvertrieb beschleunigt

 

Der Vertrieb von Versicherungen lebt seit jeher vom persönlichen Kontakt. Durch die Pandemie haben digitale Kontakt-, Beratungs- und Vertriebsmöglichkeiten an Relevanz zugenommen. Videotelefonie oder ein Kundenportal sind Mittel, die längst zur neuen Normalität gehören. Die Kundschaft lebt hybrid. Sie möchte sich online wie offline informieren und kommunizieren. Für die Versicherungsbranche entstehen dank der Entwicklung von neuen Technologien andere Möglichkeiten der Interaktion über einfache Tools und Vergleichsplattformen. Vor allem einfache und standardisierte Produkte im Privatkundensegment werden vermehrt über digitale Vertriebslösungen verkauft. Die persönliche und professionelle Beratung und Betreuung im Risiko-, Versicherungs- und Vorsorgemanagement wird bei mittleren, grossen und multinationalen Unternehmenskunden weiterhin unverzichtbar bleiben.

 

Homeoffice als Türöffner für Cyber-Angriffe

 

Inzwischen gehört Homeoffice zum festen Bestandteil vieler Firmenkulturen. Durch die berufliche Nutzung privater Computer entstanden in vielen Unternehmen erhöhte Risiken für Cyber-Attacken. Hacker machten sich Sicherheitslücken zunutze und gelangten an sensible Unternehmensdaten. Gemäss einer Umfrage der Allianz Versicherung sind Cyber-Gefahren die zurzeit grösste Sorge der Unternehmen weltweit. Im Fokus stehen Bedrohungen durch Ransomware-Angriffe, Datenschutzverletzungen oder IT-Ausfälle. Fast täglich berichten die Medien über solche Vorfälle und erhöhen damit die Furcht bei den Unternehmen. Obschon Unternehmen viel Geld in die Weiterentwicklung der IT-Sicherheit investieren, kommen Angreifer durch. Sie benötigen kaum noch technische Kenntnisse. Die entsprechenden Werkzeuge können bequem im Netz gebucht werden. In den Unternehmen vernachlässigt werden die Sensibilisierung und Schulung der Mitarbeitenden zur Erhöhung der IT-Sicherheit.

 

Drohende Klagen machen Versicherer vorsichtig

 

Wo sich die Anbieter vor ein paar Jahren noch mit niedrigen Prämien um Marktanteile bemühten, betreiben sie heutzutage ein konsequentes Re-Underwriting. Grund dafür ist die Zunahme der Schadenhäufigkeit und Schadenhöhe von Organhaftpflichtfällen im angelsächsischen Raum. Deckungskapazitäten werden reduziert, Prämien zum Teil massiv erhöht und Versicherungsbedingungen eingeschränkt. Die Corona-Pandemie hat diese Marktverhärtung beschleunigt. Im Zuge des Re-Underwritings überprüfen Versicherer wie stark das Geschäft und die Bilanz von der Pandemie betroffen sind. Von speziellem Interesse ist der Umgang mit der Pandemie. Die Schadenersatzforderungen gegenüber Vorständen und Aufsichtsgremien sowie Klagen der Aktionäre gegenüber dem Management bezüglich ihrer Handlungsweise in der Pandemie könnten überproportional steigen.

 

Pandemie: ein nicht versicherbares Risiko?

 

Gerade zu Beginn der Krise gerieten Versicherer ins Kreuzfeuer der Kritik, weil sie Versicherungsleistungen aufgrund eines Epidemie- oder Pandemieausschlusses ablehnten. Gerade in der Gastrobranche war eine Deckung der Ertragsausfälle infolge Epidemieereignis in einer Kombi-Versicherungspolice häufig inbegriffen. Das Problem: Schäden, die gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO unter eine erhöhte Pandemiestufe fallen, sind von der Deckung ausgeschlossen. Die meisten Versicherer machten gel-tend, dass der Versicherungsschutz bei einer globalen Pandemie nicht gegeben sei. Um zumindest einen Teil der entstandenen finanziellen Einbussen zu decken, boten Versicherer ihren Kunden eine Regelung per Saldo aller Ansprüche an, was ein Grossteil der Geschädigten annahm. Andere hingegen beschritten den Rechtsweg.

 

In einem am 28. Januar 2022 veröffentlichten Urteil (4a_0330_2021_2022_01_28_T_d_14_28_38.pdf (bger.ch) hat nun erstmals auch das Bundesgericht dazu Stellung genommen. Es hat das vom Handelsgericht des Kantons Aargau zu Gunsten des Klägers aus der Gastronomie gefällten Urteils widerrufen. Dieser Entscheid wird einen wegweisenden Charakter haben.

 

Kumulrisiken sind nicht kalkulierbar

 

Für die Versicherer zählt eine Pandemie zu den sogenannten Kumulrisiken – also zu den Gefahren, die zufällig gleichzeitig überproportional viele Schäden anrichten. Würde ein Kumulrisiko versichert, wäre der damit verbundene Kapitalbedarf zur Abdeckung allfälliger Schäden unbezahlbar. Denn Versicherungen funktionieren so, dass viele Menschen einen geringen Beitrag zahlen, damit wenige Betroffene genügend Geld erhalten, wenn ihnen ein Schaden zustösst. Damit dieser Ansatz kalkulierbar ist, müssen Risiken statistisch bewertbar und ausreichend unabhängig voneinander sein. Genau hier wird es bei Pandemien problematisch.

 

Noch zu Beginn der Pandemie schien es, als wolle der Staat einen Vorschlag zur Lösung dieses Problems erarbeiten. Es initiierte das Projekt Pandemieversicherung. Das Konzept sah ein Obligatorium vor, wobei das zur Deckung künftiger Schäden notwendige Kapital über Prämien finanziert würde. Am 31. März 2021 liess der Bundesrat jedoch verlauten, dass er die angedachten Varianten nicht weiterverfolgen werde. Er begründete seinen Entscheid mit der fehlenden Unterstützung vonseiten der Wirtschaft, wobei besonders das Obligatorium auf Ablehnung stosse. Privatversicherer sind weiterhin gewillt an einer Lösung mitzuarbeiten. Was es aber braucht, ist ein übergreifender Ansatz von Versicherungsbranche, Wirtschaft und Staat.

 

Autor:

Mirco Vivarelli